Die folgende Arbeit stammt von Merlin Pohse und Selma Roth, die ihre Ausbildung an der „Etage“ , Schule für darstellende & bildende Kunst, Berlin absolviert haben. Sie wird in mehreren Teilen veröffentlicht. Das ist der Erste. Hier ist der 2. Teil.
Geschichtliche Einführung in die Pantomime/Mime
Das Wort Pantomimos stammt aus dem Griechischen und bedeutet “alles nachahmend”. Die Pantomime entstand, wie andere Theaterformen der Antike in Griechenland. Erste Formen der Pantomime vermutet man bei den Dionysischen Festspielen.
Während des Römischen Reiches entwickelte sich die Pantomime zu einer der höchsten Gattungen des Theaters. Sie war eine Art virtuoser Solotanz, der zwischen den Akten von Tragödien und Komödien getanzt wurde. Die Pantomimen wurden von einem Darsteller gezeigt, welcher alle vorkommenden Rollen verkörperte. Es wird angenommen, dass die
Darsteller in Maske spielten, wofür es jedoch keine eindeutigen Belege gibt. Neben den rhythmischen Bewegungen des Körpers waren die Hände vorrangiges Mittel zum Ausdruck von Emotionen. Die Stücke wurden von Orchestern und Chören, gelegentlich auch von Solosängern und Rezitatoren begleitet. Mit dem Untergang des Weströmischen Reiches und im Zuge der Völkerwanderung verschwand die Pantomime im weströmischen Gebiet. Im Oströmischen Reich lebte die Pantomime bis in das 5. Jahrhundert weiter.
Mittelalter und Renaissance
Die Kontinuität der Pantomime im Mittelalter ist nicht nachweisbar, man vermutet ihr Überleben im Jahrmarktstheater, bei den Joculatoren (Spaßmachern) und Gauklern. Mit der Commedia dell’arte, dem italienischen Stegreiftheater der Renaissance, entstand im 16. Jahrhundert eine neuzeitliche Form der Pantomime, die sich über ganz Europa ausbreitete. Schauspieltruppen der Commedia etablierten sich zunehmend im Jahrmarktstheater in Frankreich, wurden im späten 16. Jahrhundert aber auch vom französischen Hochadel eingeladen.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts residierten manche Truppen zuweilen mehrere Jahre am Hofe des Königs. Französische Schauspieler und Gruppen adaptierten die Spielweise der Italiener und fügten eigene Traditionen in ihr Spiel mit ein. So wandelten sich im Laufe der Jahrhunderte die Figuren und es entstanden neue Typen. Den bestehenden Charakteren wurden neue Namen gegeben und ihre Eigenheiten dem Spiel angepasst. Aus der Dienerfigur des Arlecchino wurde Harlekin, die Figur des Pedrolino entwickelte sich zu Pierrot. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erschienen italienische Truppen der Commedia dell’arte, kurze Zeit später auch französische Jahrmarktsschauspieler, auf den englischen Jahrmärkten. Da ihre Sprache vom englischen Publikum nicht verstanden wurde, mussten sie sich auf Bewegung, Tanz und Gestik verlegen.
Die Stücke der Commedia dell’arte entwickelten sich im Jahrmarktstheater zu derben komischen Tänzen, bei welchen die akrobatischen Kunstfertigkeiten der Akteure immer mehr in den Vordergrund rückten. Waren in den Stücken der Commedia die komischen, akrobatischen „Lazzi“ eingestreute Szenen innerhalb der Aufführung, bauten die Akrobaten und Tänzer der Jahrmarktstheater mehr und mehr neue Stücke um die akrobatischen Tänze herum. 1680 erhielt die Comédie Francaise das alleinige Recht zur Aufführung von Komödien und Farcen. Die Aufführungen in den Jahrmarktstheatern durften nur noch Kunststücke, Tanz und Akrobatik beinhalten. Bedingt durch diese Restriktionen entwickelten sich die Komödien immer mehr zu stummen Pantomimen, in denen die Figuren sich durch Gestik und Mimik verständlich machten.
Der berühmteste Vertreter der Pantomime des Jahrmarktstheaters war Jean Gaspard Deburau. Er gilt als Erfinder der modernen Pantomime und schuf die Figur des poetischen, melancholischen Pierrots. Deburau wurde mit dem Film „Kinder des Olymp“ (1945) in der Darstellung von Jean-Louis Barrault ein Denkmal gesetzt. Im 19. Jahrhundert erhielten die Theater eine neue Funktion. Technische Neuerungen machten es möglich, die Bühnenbilder im Verlauf eines Stückes zu verwandeln. Dadurch wurde die Arbeit der Bühnenmaler und Dekorateure immer wichtiger. Die Bühnenbilder wandelten sich zu Dioramen und Panoramen, mit ihrer Hilfe wurden historische Ereignisse nachgestellt. So entwickelten sich die Pantomimen nach und nach zu Schaustücken, welchen aufklärerische Funktion zukam. Sie befriedigten die Neugier des Publikums auf die Welt, hier wurde das Zeitgeschehen kommentiert und ins Spiel einbezogen. Harlekin, Pierrot und die anderen Figuren der populären Pantomime rückten bei diesen Schaustücken aber mehr und mehr in den Hintergrund. Charles Deburau, der Sohn Jean Gaspards, ist einer der letzten grossen Pierrots, die Figuren der Harlekinaden wurden durch die Schaustücke abgesetzt. Mit der Entstehung des Kinos starb die populäre Pantomime endgültig aus.
Pantomime/Mime im 20. Jahrhundert
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird im Theater eine neue Entwicklung sichtbar. Sie wendet sich von dem naturalistischen Theater der bürgerlichen Gesellschaft, dem es um grösstmögliche Wirklichkeitstreue geht, ab. Mit den neuen technischen Errungenschaften wie der Gasbeleuchtung und später dem elektrischen Licht, neuen Ausstattungsmöglichkeiten wie geschlossenen Zimmerdekorationen bemühen sich die Theater, die reale Umwelt in den Inszenierungen möglichst detailgetreu nachzuahmen. Gleichfalls sollen die Schauspieler auf jede Überhöhung von Gestik, Mimik und Sprachgestaltung zugunsten einer lebensnahen Darstellung verzichten. Die neue Bewegung sucht die Retheatralisierung des Theaters. Theater soll zu einer eigenständigen Kunstform erwachsen, in welcher das Künstlerische und das Kunstschaffen an sich zentrale Bedeutung haben.
Edward Gordon Craig, ein englischer Bühnenbildner und Theaterkritiker, wird einer der bedeutendsten Vordenker der neuen Ausrichtung des Theaters. Craig gilt als Erfinder der Stilbühne, er arbeitet mit Rhythmus, Farbe und Licht und setzt diese Mittel als einer der Ersten bewusst ein. Seine Vorstellungen gleichen denen Adolphe Appias, mit dem er sein Leben lang schriftlichen Kontakt hält. Craig sucht ein theatrales Gesamtkunstwerk aus der Synthese aller szenischen Elemente.
Auch der Schauspieler ist in seiner Theorie ein Teil der Gestaltungsmittel. In seinem Manifest „Der Schauspieler und die Über- Marionette“ von 1907, fordert Craig den Schauspieler auf, sich von der blossen Nachahmung der Realität zu befreien, um ähnlich wie bei der Musik und anderen Künsten zu einer stilisierten Darstellung der Wirklichkeit zu gelangen. Für Craig ist die Vorraussetzung dafür die perfekte Beherrschung des Körpers und der Emotionen. Den Menschen sieht er dazu nicht in der Lage, weshalb er die Vorstellung einer Über- Marionette entwirft, die den Schauspieler ersetzen soll.
Später weicht er von der Absolutheit seiner Forderungen ab, die Beherrschung des Körpers bleibt für ihn jedoch von zentraler Bedeutung. Craig erforscht seine Thesen in seiner eigenen Theaterschule der „Arena Goldoni“ die er 1911 in Florenz eröffnet. Craig übt grossen Einfluss auf das Theater aus. So greift Jacques Copeau dessen Theorien in seiner eigenen Theaterschule wieder auf, Etienne Decroux erklärt sie gar zu den Prinzipien seiner Erforschung der reinen Mime.
Rhythmische Gymnastik
Auch in anderen Bereichen der Kunst gibt es neue Entwicklungen. Emile Jaques-Dalcroze wird 1892 Lehrbeauftragter für Harmonielehre am Genfer Konservatorium. Als er erkennt, dass seinen Schülern das rhythmisch- metrische Empfindungsvermögen fehlt, entwickelt er in den folgenden Jahren, zusammen mit seinen Schülern, eine Methode, Musik durch körperliche Bewegung erlebbar zu machen. Der musikpädagogische Erfolg seines Konzeptes ist enorm, die „Rhythmische Gymnastik“, wie Emile Jaques-Dalcrozes Methode genannt wird, ein Erfolg.
Nachdem seine Zeit am Konservatorium zu Ende geht, eröffnet Jaques-Dalcroze eine eigene Schule, in welcher er sein Konzept weiter lehrt. Diese neue Form des körperlichen Ausdruckes findet grossen Anklang bei Adolphe Appia, einem Bühnenbildner und Theatertheoretiker, welcher sich mit der Neugestaltung des Theaterraumes befasst. Appia strebt, ähnlich wie Edward Gordon Craig eine Stilisierung hin zu einem rhythmischen Raum an. Durch die Beschäftigung mit den zeitgenössischen Inszenierungen der Opern Richard Wagners entwirft Appia ein Konzept der Neugestaltung, in welcher der menschliche Körper, die Musik und der Raum zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen.
In der „Rhythmischen Gymnastik“ sieht er eine Möglichkeit, der Darstellung eine neue Dimension zu verleihen. Emile Jaques-Dalcroze und Adolphe Appia experimentieren im Festspielhaus Hellerau bei Dresden, wo sie auch gemeinsam inszenieren. Ihre Aufführungen gelten als bahnbrechend für eine neue Form des Theaters. Eine Schülerin von Jaques-Dalcroze wird in Hellerau Mary Wigman. Sie erhält Unterricht in „Rhythmischer Gymnastik“ und entwickelt aus dieser und anderen Einflüssen den Ausdruckstanz. In Frankreich fallen die Ideen Craigs und Appias auf fruchtbaren Boden.
Jacques Copeau ist Theaterkritiker und Herausgeber der Zeitschrift: „La Nouvelle Revue Française“. 1913 kündigt er in seinem Manifest „Versuch dramatischer Erneuerung“ die Gründung eines eigenen Theaters an, um der Industrialisierung des bestehenden Theaters entgegenzuwirken. Gleichzeitig beschliesst Copeau, dem Theater eine professionelle Schauspielschule anzuschliessen.
Er trifft in den Jahren 1915-1916 sowohl Emile Jaques-Dalcroze und Adolphe Appia in der Schweiz, als auch Edward Gordon Craig in Florenz. Diese Begegnungen üben entscheidenden Einfluss auf seine Ideen zur Ausbildung des Schauspielers aus. Von Craig übernimmt er die Idee Masken zu benutzen. Ausgehend von den Masken des Japanischen Theaters entwickelt Copeau die „Masque Noble“, einen Vorläufer der später von Jacques Lecoq benutzten Neutralen Maske. Die von Jaques-Dalcroze geschaffene „Rhythmische Gymnastik“ begeistert Copeau so sehr, dass er sie zur Grundlage seiner Schauspielausbildung macht. Nach dem er zunächst seine eigene Truppe unterrichtet, eröffnet Copeau 1921 seine Schauspielschule am Théâtre du Vieux-Colombier.
Neben Fächern wie Klassischer Tanz, Akrobatik und Musik wird auch das Maskenspiel Teil des Lehrplans. Als einer der ersten Schauspielpädagogen führt Jacques Copeau die Improvisation in die Ausbildung des Schauspielers ein. 1924 schliesst Copeau das Théâtre du Vieux-Colombier und zieht mit einem Teil seiner Truppe und dem Grossteil der Schule auf das Land. In der Bourgogne gründet er eine neue Truppe, die „Les Copiaus“ genannt wird. Die Arbeit von Copeau wird von mehreren Menschen weitergetragen und entwickelt. So ist Jean Dasté ein Schüler und Vertrauter von Copeau.
Dasté unterrichtet unter der Aufsicht von Copeau bereits die „Copiaus“ und setzt dessen Arbeit später in seiner eigenen Truppe der „Compagnie des Comédiens de Grenoble“ fort. Ein Mitglied dieser Truppe wird dort Jacques Lecoq.
Stanislawski, Strassberg und „Method-acting“
In Russland entstehen im gleichen Zeitraum ebenfalls Bemühungen, das Theater zu erneuern. Konstantin Stanislawski sucht Wege, den Schauspieler wahrhaftig auf der Bühne empfinden zu lassen. Er entwickelt in dem von ihm gegründeten Moskauer Künstlertheater das naturalistische Darstellen entschieden weiter. Die höchste Aufgabe des Theaters ist für ihn die Wahrheit. Sich ihr verpflichtet fühlend, inszeniert er so wirklichkeitsgetreu wie möglich. Ab 1904 beschäftigt er sich mit dem Symbolischen Theater.
Während dieser Experimentierphase kommt es zum gedanklichen Austausch mit Copeau und Craig. Letzterer inszeniert mit ihm zusammen in Moskau. Später kehrt Stanislawski zum psychologischem Realismus zurück. Sein „System“ der Schauspielausbildung wird wegweisend für die Schauspielausbildung in aller Welt. Lee Strassberg entwickelt daraus das „Method-acting“. Michail Chechov führt die Lehre Stanislawskis in seine eigene Methode der Schauspielkunst über. Es bilden sich aber auch gegensätzliche Auffassungen. Mitarbeiter von Stanislawski, wie Wachtangow, Tairow und Meyerhold wenden sich vom psychologischen Realismus ab und suchen ihrerseits andere Möglichkeiten des Darstellenden Spiels, die nicht an die Realitätstreue gebunden sind.
Wsewolod Meyerhold wird 1898 Schauspieler am neugegründeten Moskauer Künstlertheater unter Leitung Stanislawskis. Später übernimmt er die Leitung der Studiobühne des Moskauer Künstlertheaters. Meyerhold experimentiert mit Formen der Commedia dell’arte, des japanischen Kabuki Theaters und der Pantomime und entwickelt, angeregt durch den sizilianischen Schauspieler Grasso, erste Etüden und Spielformen des späteren Systems der Biomechanik.
In Frankreich werden unterdessen weiter neue Formen des Theaters ausprobiert. 1926 gründen die Pariser Theaterdirektoren Louis Jouvet, Gaston Baty, Georges Pitoëff und Charles Dullin das „Cartel de Quatres“, eine Vereinigung gegen das Illusionistische Theater, mit dem Ziel, die Schauspielkunst im Sinne Copeaus zu erneuern. Charles Dullin gilt als Nachkomme Copeaus. Er ist einer der ersten Schauspieler von Copeaus Truppe, löst sich jedoch schon vor der Schliessung des Théâtre de Vieux-Colombier von ihm und begründet 1922 das Théâtre de L’Atelier in Paris. Copeaus Beispiel folgend richtet Dullin ebenfalls eine Schauspielschule in seinem Theater ein, er unterrichtet selbst nach der Methode Copeaus.
Das Théâtre de L’Atelier ist wird eines der wenigen privaten Theater in Paris, die sich neben der Comédie Francais behaupten können. Ein Schauspieler am Théâtre de L’Atelier ist Etienne Decroux. Er war vorher Schüler am Vieux-Colombier und hat durch seine Lehrerin Suzanne Bing die Arbeit mit dem Körper kennen gelernt.
Bei Dullin arbeitete Decroux als Schauspieler und Lehrer. Während dieser Zeit beginnt er sich dem Studium des körperlichen Ausdruckes zu widmen. Als Jean-Louis Barrault seinerseits an das Théâtre de L ́Atelier kommt, finden sich Decroux und er schnell, die Forschungen werden nun zu zweit fortgesetzt. Decroux und Barrault entwickeln in den nächsten zwei Jahren unter anderem das „Gehen auf der Stelle“ und „Le Combat Antique“.
Jean-Louis Barrault wendet sich dann später verstärkt dem Schauspiel zu, sucht aber auch in seinen späteren Arbeiten stets die Verbindung zur Mime zu erhalten. So nimmt er in seiner Inszenierung „Antonius und Cleopatra” von 1945, den in den Jahren bei Dullin erarbeiteten „Combat Antique“ wieder auf. Weltweite Bekanntheit erlangt Barrault mit seiner Darstellung des „Baptiste” in dem Film „Kinder des Olymp” von 1945, mit der er Jean Gaspard Deburau, dem Pierrot des 19. Jahrhunderts, ein filmisches Denkmal setzt.
Decroux seinerseits eröffnet in späteren Jahren eine eigene Schule, die sich ausschliesslich der Erforschung des von ihm entwickelten „Mime Corporel Dramatique“ widmet.
Decroux und Mime Corporel
Decroux erschafft nicht nur eine Körpergrammatik, sein Werk wird wegweisend für die gesamte Pantomime des 20. Jahrhunderts. Gibt Decroux zunächst noch öffentliche Demonstrationen seiner Forschung, so etwa beim „Soirée de mime corporel“ 1945 in Paris, dem auch Edward Gordon Craig beiwohnt, zieht er sich im Laufe der Zeit mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurück und unterrichtet dann ausschliesslich in dem Studio seines Hauses.
Zahlreiche Schülerinnen und Schüler nehmen Unterricht bei Etienne Decroux, einer von ihnen ist Marcel Marceau. 1946 erhält er Schauspielunterricht am Théâtre Sarah-Bernhardt bei Charles Dullin und gleichzeitig Unterricht in „Mime Corporel“ bei Etienne Decroux, der zu dieser Zeit ebenfalls am Théâter Sarah-Bernhardt lehrt. Im gleichen Jahr bekommt Marcel Marceau ein Engagement in der Compagnie von Jean- Louis Barrault für die Rolle des Harlekin in der Pantomime „Baptiste“.
Marcel Marceau und „Bip“
Marcel Marceau kombiniert „Mime Corporel“ mit der „Pantomime Blanche“ und entwickelt daraus eine neuzeitliche Pantomime mit welcher er sich von der Technik Decroux ́ abwendet. Mit seiner Figur „Bip“ erlangt Marceau Weltruhm, seine Spielart wird zum Inbegriff der Pantomime. Ein anderer Schüler am Théâtre Sarah-Bernhardt ist Jean Soubeyran.
Er erhält, neben Schauspielunterricht bei Dullin, ebenfalls Lektionen in „Mime Corporel“ bei Decroux. Er schliesst sich später der von Marceau gegründeten Truppe „Compagnie des Mimes Marcel Marceau“ an und spielt dort mehrere Jahre. Soubeyran erteilt selber Unterricht in Pantomime, er siedelt später nach Deutschland um, wo er gleichfalls in der Bundesrepublik, wie auch in der DDR, die Pantomime begründet. Bei Decroux geht auch der Clown Dimitri in die Lehre. Er erhält Stunden in „Mime Corporel“, gleichzeitig nimmt er Unterricht bei Marcel Marceau. Später wirkt er in dessen Inszenierungen „Les Matadors“ und „Le Petit Cirque“ mit. Dimitri sucht die Verbindung der Pantomime mit dem Komischen, er erarbeitet eigene clowneske Stücke in welche er pantomimische Elemente einfliessen lässt.
Jacques Lecoq wird 1945 in die von Jean Dasté gegründete Truppe „Comédiens de Grenoble“ aufgenommen. Hier lernt er die Arbeit mit der Maske und das Japanische Theater kennen, welche Jean Dasté in der Tradition seines Schwiegervaters Jacques Copeau weiterführt. 1950 wird Lecoq von Giorgio Strehler nach Mailand an das Piccolo Teatro berufen, um dort mit ihm eine Theaterschule zu begründen. Während seinen Lehrtätigkeiten am Piccolo Teatro lernt Lecoq auch Etienne Decroux kennen, welcher zu dieser Zeit ebenfalls dort unterrichtet. Später kehrt Lecoq nach Paris zurück, um sich ganz der Schauspielpädagogik zu widmen. Seine Schauspielschule ist zugleich sein Forschungsgegenstand, die Lehre wird mit den Jahren weiter entwickelt. Lecoq sucht unter Anderem aus den Elementen des Maskenspiels, der Commedia dell ́arte und der Pantomime in seinen Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für das Verhältnis von Körper und Raum zu wecken. Lecoq sieht seine Arbeit als Fortsetzung der Erneuerungsbemühungen von Copeau, den er als richtungsweisend für seine Pädagogik beschreibt.
Während seiner Lehrtätigkeiten am Piccolo Teatro in Mailand, lernt Lecoq auch Dario Fo kennen. Dario Fo kommt über den Rundfunk, für den er Sartiren schreibt zum Theater. Zusammen mit seiner Frau Franca Rame schreibt er Farcen und Komödien, welche er auch am Piccolo Teatro inszeniert. Dario Fo sucht die Wiederbelebung des volkstümlichen Theaters, sein Augenmerk liegt unter Anderem auf der Commedia dell ́arte, deren Einfluss in seinem Werk deutlich zu sehen ist. Fo trifft in Mailand neben Lecoq auch Decroux. Die Konzepte beider üben grossen Einfluss auf seinen Zugang zur Darstellung aus, Fo bezeichnet beide als seine Lehrer.
In Osteuropa gibt es in den 50er-Jahren ebenfalls eine Hinwendung zur Pantomime, welche jedoch keine direkte Anbindung an die franözische Pantomime hat. 1953 gründet der Tscheche Ladislav Fialka in Prag eine Pantomimegruppe, die aus Absolventen des Prager Konservatoriums besteht. Vom klassischen Tanz ausgehend entwickeln sie erste Stücke. Fialka unternimmt Tourneen, durch welche er Kontakt zu anderen Mimen wie Marcel Marceau und Samy Molcho erhält. Die Beschäftigung mit der französischen Mime bestimmt seine Darstellungen, Fialka beginnt mehr und mehr im Stile des Jean Gaspard Deburau zu spielen, welcher seine grösste Inspiration wird.
In Polen entwickelt Henryk Tomaszewski ähnlich wie Fialka eine eigene Form der Pantomime. Auch er ist eigentlich Tänzer, aber schafft in dem von ihm gegründeten Pantomime-Sudio Breslau eine eigene bildhafte Theatersprache. Samy Molcho kommt ebenfalls vom klassischen Tanz. Er ist Schüler von Alvin Epstein, welcher seinerseits bei Decroux lernte. Molcho spielt und inszeniert pantomimsche Dramen, wendet sich jedoch später der Erforschung der alltäglichen Körpersprache zu. Das Werk der Theaterreformer wie Jacques Copeau und Charles Dullin, die Visionen Edward Gordon Craigs und Adolphe Appias, und nicht zuletzt das Schaffen von Etienne Decroux und Jacques Lecoq verhilft der Pantomime/Mime im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer neuen Popularität. Durch das steigende Interesse am körperlichen Ausdruck erwächst die Pantomime/Mime zu einer eigenständigen Kunstform und etabliert sich in der Theaterwelt.
Die Suche nach einem neuen Theater führt auch zu der Erforschung des Schauspielers, der Schauspielerin. Der Kern des theatralen Vorganges wird zum Gegenstand der Arbeit von Jerzy Grotowski. Jerzy Grotowski studiert 1955/56 am Institut für Theaterkunst in Moskau, wo er mit den Methoden Stanislawskis und Meyerholds vertraut gemacht wird. Die Auseinandersetzung mit dem Japanischen Theater führt ihn zu Forschungsreisen nach Asien, wo er sich mit den verschiedenen traditionellen Methoden des Asiatischen Theaters auseinandersetzt. Er gründet in Breslau, Polen, später das „Teatrlaboratorium“ zur wissenschaftlichen Erforschung der Theaterkunst. Zusammen mit einem festen Stab von Mitarbeitern sucht er die Wahrhaftigkeit des Theaters zu ergründen. Die wenigen Inszenierungen des Teatrlaboratoriums repräsentieren den jeweiligen Ergebnisstand der Forschung. Grotowskis Erkenntnisse gewinnen im Laufe der Jahre zunehmend Einfluss auf Theaterschaffende weltweit.
Kurzbiographien
Die folgenden Seiten beinhalten Kurzbiographien der uns wichtig erscheinenden und treibenden Kräfte der Pantomime/Mime im 20. Jahrhundert. Die ungleich detaillierte Ausführung der Biographien ist einzig und alleine auf unterschiedlichen Zugang zu Informationsmaterial zurückzuführen. Zum Beispiel sind Angaben über Leben, Werk und Anbindung von Henryk Tomaszewski und Ladislav Fialka leider sehr spärlich und uns mehrheitlich verschlossen geblieben. Der Schwerpunkt beim Verfassen der Biographien lag darin, die Zusammenhänge zu finden und aufzuzeigen. Also: Wer mit wem, wann, was und wie. Diese Verknüpfungen werden im nächsten Teil noch einmal aufgegriffen und visuell dargestellt.
Dimitri
Charles Dullin
Ladislav Fialka
Dario Fo
Jerzy Grotowski
Emile Jaques-Dalcroze
Jacques Lecoq
Marcel Marceau
Wsewolod Emilijewitsch Meyerhold
Samy Molcho
Jean Soubeyran
Konstantin Stanislawski
Henryk Tomaszewski
Mary Wigman
Der 2. Teil mit Literaturangaben und Empfehlungen sowie einem Stammbaum der Pantomime findet Ihr demnächst hier.
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Status: Zeichen der Körpersprache für Impro, Theater und Bühne
Foto: jinterwas
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