Mareike Jung tanz mime Abschlussstück Kopflos

Der folgende Artikel ist ein Teil der Abschlussarbeit von Mareike Jung, die ihre Ausbildung unter anderem and der Pantomime Schule Etage in Berlin abgeschlossen hat. Sie hat sich mit der Pantomime der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft beschäftigt. Außerdem hat sie den Zusammenhang zwischen Tanz und Pantomime herausgearbeitet. Viel Spaß beim Lesen.

Der erste Teil beschäftigt sich mit „Pantomime der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft“

Hier findest du den zweiten Teil, der sich mit der Verknüpfung von Tanz Pantomime beschäftigt.

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Begrifflichkeit klären: Pantomime & Mime

Um in dieser Arbeit das Thema „Pantomime/ Mime der Gegenwart und Zukunft“ behandeln zu können, möchte ich zunächst die Begrifflichkeit sowohl des Wortes „Pantomime“ als auch das der „Mime“ klären.

Pantomime. Gehört dieser Begriff der Gegenwart oder der Vergangenheit an? Hat dieser Begriff eine Chance sich in der Zukunft zu beweisen? Ich spreche zunächst ganz objektiv von dem Begriff, nicht von der Kunstform an sich. Wie der Begriff „Tanztheater“ von dem Mainstream sofort mit Pina Bausch assoziiert wird, oder unter dem Begriff „Klassische Musik“ fälschlicherweise beinahe ausschließlich an Mozart gedacht wird, so wird der Begriff Pantomime unvermeidbar mit Marcel Marceau verbunden. Es wird an ein weißes Gesicht, ein geringeltes Shirt gedacht, an jemanden, der stumm mit weißen Handschuhen eine imaginäre Wand darstellt. Es ist traurig aber wahr. Wie oft habe ich in Begegnungen mit Menschen eins zu eins dieses wiedergespiegelt bekommen? Auch in der Tanzwelt, die ich nun kennenlerne, fällt der Begriff Pantomime immer unter einem negativen Aspekt. Marcel Marceau war ein Genie seiner Zeit und bis heute präsent, er hat meiner Meinung nach aber auch diesen Bergriff mit diesem einseitigen Bild der Pantomime geprägt. Einem Bild, das in der Gegenwart nicht mehr repräsentativ ist. Hier möchte ich unterscheiden zwischen der Generation, die Marceau aktiv erlebt hat und der, für die dieser Name nur ein Mythos, ein weißes Gesicht bleibt.

Natürlich, wir, die „Kunstkenner“, wissen es anders: Es gab viele weitere Genies aus der Tschechischen Republik, aus Polen und fernen Ländern, die diese Kunstform geprägt und vorangetrieben haben. Der Mainstream aber, die breite Masse wird auch noch in hundert Jahren bei dem Wort Pantomime mit diesem Klischeebild konfrontiert sein, da bin ich mir sicher. Ja und? Ist das so bedauernswert?

Nein. Sollen die Menschen, die dieses Bild haben, doch in ihrem Glauben bleiben, und das Bild, was Pantomime ist, von den weißen Statuen auf der Straße über Generationen weiter in ihre Köpfe pflanzen lassen. Unsere Verantwortung ist es, diese Kunstform neu zu definieren, es immer und immer wieder neu zu überdenken und zu formen.

In anderen Worten sagte Mary Wigman: „….Es geht vielmehr darum, einer uralten Kunst in ihrer wiederum erneuerten und verjüngten Gegenwartserscheinung nachzuspüren“.

Ich möchte mich nicht an diesem Begriff „Pantomime“ aufhängen. Nein, wir können uns auch den Anglizismen bedienen und erscheinen als „umgerannte Pantomimen“ plötzlich super-modern.

Geben wir uns beispielsweise als „Physical Mime“ aus, werden alle Leute ein  unvoreingenommenes Bild vor Augen haben, auf das sie mit Neugier und Interesse reagieren.

Ein anderes Beispiel hierfür sind die Universitäten Scuola Dimitri im Tessin und die Folkwang Universität in Essen. Beide hatten einen Studiengang, der Pantomime/ Mime hieß. Mit der Zeit erschien dieser Begriff veraltet und lockte daher weniger Interessenten an. Im Handumdrehen wurde der Studiengang umbenannt in „Physical Theatre“, was natürlich eine viel attraktivere Wirkung hat. Aber ganz ehrlich, was die ETAGE, Schule für darstellende und bildende Künste in Berlin, anbietet, ist nichts anderes als Physisches Theater. Die oben genannten Universitäten haben natürlich einen abweichenden Lehrplan von der ETAGE, aber Pantomime als Technik bleibt trotzdem ein wichtiges Fach in diesen Studiengängen, denn es ist immer eine wichtige Grundlage für unser Körperbewusstsein, unsere Präsenz und vor allem: Unsere Imagination, die unser Spiel glaubhaft erscheinen lässt. Die HAMU in Prag überlegt derzeit ihren Studiengang Pantomime ebenso mit den Titel „Physical Theatre“ zu versehen.

Wichtig ist zu unterscheiden. Pantomime und Mime sind zwei wirklich unterschiedliche Paar Schuhe. Mime kann in einem viel weiteren Kontext begriffen werden, im Sinne des Körpertheaters, des Physical Theatre, des Gestischem Theaters, des Tanzes…

Während Pantomime schon ganz klar auf bestimmte Körpertechniken und den Umgang mit unserer Imagination abzielt. Oliver Pollak sagte in diesem Kontext sinngemäß zu mir: „Die Mime ist die Nahbarkeit, der menschliche Atem. Die Pantomime ist für mich Illusionsmime, also Effekte wie die Wand, ein Strick oder imaginäre Dinge, die bewegt werden.“

Bemerkenswert ist, dass das Wort Mime, im Gegensatz zu dem Begriff Pantomime, im deutschen Sprachgebrauch nicht wirklich existiert. Schlägt man Mime im Duden nach, finden wir unter Bedeutung: Schauspieler. Mime bleibt ein englischer Begriff und ist in unserem Umfeld undefiniert. Fragen mich Leute, was ich mache und ich beantworte die Frage mit „ich bin Mime“, fühlt sich mein Gegenüber oft alleine gelassen.

Von der Griechischen Antike bis heute: Eine historische Skizze der Pantomime / Mime

Pantomime: „Uralter Bestand aller darstellerischen Kunst, die sich des Menschen als Ausdrucksinstrument bedient, um zu ihrer besonderen Wirkung zu gelangen“, so Mary Wigman über die Pantomime.

Wie Wigman in diesem Zitat andeutet, sprechen wir über eine Theaterform, die bis in die Griechische Antike zurückreicht. Der Begriff Pantomime stammt aus dem Griechischen (pantómīmos) und heißt wortwörtlich übersetzt „alles nachahmend“.

Das Dionysostheater im antiken Griechenland gilt als Geburtsstätte des Dramas. Hier werden die Anfänge der Pantomime vermutet.

Später im Römischen Reich entwickelt sich die Pantomime zu einer angesehenen Gattung des Theaters. Zwischen den Komödien und Tragödien wird eine Art virtuoser Solotanz der Pantomimen aufgeführt. Zusätzlich hat der Pantomime eine Funktion als Dolmetscher.

Mit dem Auseinanderbrechen des Römischen Reiches verflüchtigt sich auch die Pantomime. Bis ins Mittelalter gibt es keine Überlieferungen, die uns ein konkretes Bild dieser Zeit geben könnten.

Mit der Commedia dell‘ arte beginnt eine neue Epoche der Pantomime und definiert die die Pantomime neu.

Das Stehgreiftheater erlebt im 17. Jhdt. ihren Höhepunkt und geht im 18 Jhdt. ihrem Ende zu.

Die Commedia dell‘arte verlagert ihr Zentrum im Laufe dieser Zeit von Italien nach Paris.  In Frankreich werdeb die Spielweisen der italienischen Commedia abgewandelt und neu verstanden. Commedia-Truppen ziehen mit Wanderbühnen von Stadt zu Stadt und etablieren europaweit das Jahrmarktstheater.

Die stumme Pantomime entsteht 1680 durch ein Sprechverbot, das den Commedia-Truppen während der französischen Revolution erteilt wird. Das Ensemble des französischen Nationaltheaters „Comédie de Francaise“ bekommt das alleinige Privileg die Bühnen in Paris zu bespielen. Die Commedia dell‘arte wird durch diese Reduktion  gezwungen, mit Gestik und Mimik ihren Ausdruck zu finden.

Aus dieser Zeit entspringt Jean Gaspard Deburau (1778- 1837), welcher als Begründer der klassischen Pantomime gilt. Mit der Filmlegende „Kinder des Olymp“ setzt er 1945 ein Zeichen in der Kunstform der Pantomime.

Mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm fällt die Präsenz der Pantomime enorm.

Akteure wie beispielsweise Charlie Chaplin oder auch Laurel und Hardy (Dick und Doof) mit ihrem Slapstik-Charakter haben eine große Nähe in ihrer Technik, in ihrem Ausdruck zur Pantomime. Der Körperausdruck, das Überzeichnete, ist hier nicht wegzudenken. Das ist auf einen Schlag weg mit dem Erscheinen des Tonfilms. Die großen Stars des Stummfilms sind plötzlich existenziell am Ende. Das Werkzeug, das sie haben, eine Überzeichnung der Gestik und der Mimik, hat im Tonfilm absolut keine Chance, es war vielmehr störend. Das Zusammenspiel von Pantomime und Ton ist in diesem Zusammenhang nicht möglich. Die Pantomime hat gegen die Sprache keine Chance.

Parallel zum Übergang vom Stumm- zum Tonfilm beginnt die Theaterreform ab 1920 und ruft Veränderungen in allen Formen der Darstellenden Kunst hervor.

Angeführt von folgenden prägenden Persönlichkeiten werden dem Theater und der Pantomime/ Mime ein neuer Ausdruck verliehen.

Theatermethodiker und -theoretiker wie Edward Gordon Craig in England, Konstantin Stanislawski und Wsewolod Mayerhold in Russland, Jacques Copeau und Charles Dullin in Paris befürworten eine Retheatralisierung des Theaters.

Ein Gedanke war, den Schwerpunkt auf den Schauspieler selbst, auf die Bühne mit den neuen technischen Errungenschaften, und den Literaten zu legen.

Edward Gordon Craig (1872-1966), um ein Beispiel zu nennen, prägt als Theaterreformer die Pantomime in sofern, als dass er mit seiner Theorie nicht nur einen großen Einfluss auf die gesamte Entwicklung des Theaters hat, sondern auch auf einzelne Persönlichkeiten wie Etienne Decroux, welcher als Gründer der „reinen Mime“ gilt. Die Forderung Craigs an den Schauspieler, über eine absolute Beherrschung von Körper und Emotion zu verfügen, nimmt Decroux als Basis seiner Forschungen an.

In Frankreich bringt Charles Dullin (1885-1949) die Schauspielkunst voran. Dullin entwickelt die Methodik seines Vorgängers Copeaus weiter, welche sich vom illusionistischen Theater abwendet, und unterrichtet diese an der von ihm gegründeten Schule Théâtre de L‘Atelier.

Dullin stellt Etienne Decroux (1898- 1991) als Schauspieler und Dozent ein. Dieser fängt schon bald mit seiner Forschung des ganzheitlichen Körperausdrucks an. Jean-Louis Barrault (1910-1994) kommt einige Jahre später ebenfalls an Dullins Schule und schließt sich Decrouxs Forschungen an. Später geht Barrault verstärkt in die Richtung des Schauspiels; die Verbindung zur Mime bleibt jedoch in all seinen Werken von großer Wichtigkeit. Weltweiten Erfolg erringt Barrault mit seinem Film “Kinder des Olymp“, in welchem deutlich die Verbindung von Pantomime und Schauspiel erkennbar ist.

Decroux fasst seine Forschungen in der „Mime corporel dramatique“ zusammen und lehrt diese in seiner eigenen Schule in Paris.

An dieser Stelle treffen wir das erste Mal auf Marcel Marceau (1923-2007). Marceau nimmt zeitgleich Unterricht bei Dullin und Decroux  am  „Théâter Sarah-Bernhardt“. Angeregt von diesen Philosophien schafft er etwas ganzheitlich Neues in der Welt der Pantomime. Mit Marceaus Erschaffung des weltbekannten Bip wird sein eigener Stil unverkennbar und wird zum Inbegriff der Pantomime. Marceau gründet 1978 seine eigene Schule „École International de Mimodrame de Paris, Marcel Marceau“ in Paris.

Ebenfalls in diesem Kontext sind zwei weitere wichtige Persönlichkeiten zu nennen. Zum einen Jean Soubeyran (1921-2000), welcher ebenfalls Unterricht bei Dullin und Decroux erhielt. Mehrere Jahre spielte Soubeyran in der „Compagnie de Mime Marcel Marceau“. Soubeyran haben wir es zu verdanken, dass die Pantomime im Zuge seiner Übersiedelung nach Deutschland auch hier etabliert wurde. Er war sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der DDR als Pantomime aktiv.

Dimitri (*1935) ist eine zweite wichtige Persönlichkeit, die aus den französischen Lehren entsprungen ist. Er erhält ebenfalls Lektionen bei Decroux und Marceau und kreiert daraus seinen unverkennbaren eigenen Stil: Eine gekonnte Mischung aus Komik, Körpertheater und artistischem Können. Clown Dimitri siedelt sich in der Schweiz an und gründet 1975 seine eigene Schule, die „Scuola Dimitri“.

Auch Jacque Lecoq (1921-2000) ist in der großen „Familie Decrouxs Schülern“ mit inbegriffen. Bis heute zählt er als Wegweiser der Theaterpädagogik und der modernen Pantomime. Das Piccolo Teatro in Mailand ist, neben Paris, ein weiterer Ort wichtiger Begegnungen. Decroux, Lecoq und später Dario Fo treffen hier aufeinander, beeinflussen und inspirieren sich gegenseitig.

Mitte des 20. Jahrhunderts finden wir eine weitere Strömung der Pantomime in Osteuropa, die keine direkte Verbindung zu der der Franzosen hat.

Henryk Tomaszewski (1919-2001) gilt in Polen, zusammen mit Jerzy Grotowski, als der bedeutendste Künstler des Theaters im 20. Jahrhundert. Ausgebildet als Tänzer, entwickelt er seine eigene Form der Pantomime. In seinem Pantomimetheater in Breslau werden seine Werke aufgeführt.

Ladislav Fialka (1931-1991) ist in der Tschechischen Republik ein Wegbereiter der  damals modernen Pantomime, zeitgleich mit Marceau in Frankreich.

Während Marceau mit seinen Soloprogrammen auftritt, konzentriert sich Fialka, auch vom klassischen Tanz kommend, auf die Ensemblearbeit.

Samy Molcho, ein israelischer Pantomime (*1936) kommt wie Tomazewski und Fialka aus dem Tanz. Im Laufe seiner Biographie setzt er seinen Schwerpunkt mehr und mehr auf die Erforschung der alltäglichen Körpersprache und verfasst mehrere Bücher darüber – ein Genie der Pantomime bleibt er jedoch allemal.

Wir nähern uns der Gegenwart; folgend ein kleiner Einblick auf den aktuellen Markt der Pantomime.

Die Compagnie Fam. Flötz ist seit 1994 in ihrer Arbeit stark mit der Pantomime verbunden. Von der Folkwang Universität in Essen kommend, haben sie das Maskenspiel von Lecoq weiterentwickelt.

Die Compagnie Mummenschanz erlangt einen internationalen Erfolg in den 1970er- Jahren mit den von ihnen entwickelten „Ganzkörpermasken“.

Bodeker & Neander, aus der Compagnie von Marcel Marceau kommend, experimentieren in der Gegenwart mit verschiedenen Synthesen der Pantomime mit Musik, Film, Zauberei und vielem mehr.

In der Tschechischen Republik ist momentan Radim Vizváry der erfolgreichste Pantomime. Er treibt die Entwicklung der Pantomime enorm voran. Mit seinen von ihm entwickelten Techniken und seiner Philosophie hat er einen großen Einfluss auf die Generationen von heute und morgen.

In Polen zählt das Teatr Pantomimy im. Henryka Tomaszowskiego, gegründet von Henryk Tomaszewski, nach wie vor zu den wichtigsten des Landes. Außerdem sind sowohl die Compagnie TEATR FORMY als auch die Compagnie des Pantomimenzentrum im Theater NaWoli in Warschau nennenswert.

Was ist die Pantomime der Gegenwart?

Hier gehen die Meinungen stark auseinander. Die einen sagen, Pantomime gibt es nicht mehr, die anderen sagen, Pantomime muss auf den größten Bühnen der Welt repräsentiert werden. Jede einzelne Sichtweise ist völlig legitim; es gibt kein richtig oder falsch – es ist reine Ansichtssache.

Zeige ich eine klassische Etüde von Marcel Marceau, ist diese nun Teil der Gegenwart oder ein Festhalten an die Vergangenheit? Auch auf diese Frage finden sich viele verschiedene Antworten.

Ist es nicht egal, wie alt eine Etüde ist, wenn ich sie als Künstler in der Gegenwart für mich und mein Umfeld neu definiere? Oder sind die Themen dieser Zeit, von unserem Standpunkt betrachtet, einfach nicht mehr aktuell? Ist es vielleicht nur eine Erinnerung an eine bessere Welt, einer Welt, der wir vielleicht nachtrauern? Ein verkrampftes Festhalten an Vergangenes?

Viele Pantomimen der Gegenwart wirken auf mich durch die Reduktion der Stimme etwas krampfhaft. Sie unterdrücken etwas, was zu uns, zu der Bewegung, die wir ausführen, dazugehört: Die Stimme. Die Pantomime kam durch ein Sprechverbot 1680 in die Welt. Sich ohne Worte ausdrücken zu können war die Devise. Heute dürfen wir uns öffentlich mit unseren Meinungen über die Welt äußern. Daher sollte die Stimme in der Pantomime nicht ausgeschlossen werden. Dann öffnet sich diese Kunstform, passt sich der Gegenwart an, geht vielleicht in Richtung Physisches Theater – kann, muss aber nicht. Die Pantomime der Gegenwart kann alles sein, das ist meiner Ansicht nach wunderschön. Warum muss man einen Zaun um eine Definition, was Pantomime ist, bauen? Sie soll frei sein und sich entwickeln, ganz egal, wie man es nennen mag.

Sehe ich Pantomime im klassischen Sinne, kann diese mich voll und ganz mitreißen. Wird es jedoch überzogen von oftmals groß eingesetzten Gesten und übertriebener Mimik, erinnert dies an einen Stummfilmmodus. Aber der Stummfilm ist nicht Teil der Gegenwart. Genauso wenig wie eine reine Kopie von Marcel Marceau.

Aber was ist die Gegenwart dann?

Befinden wir uns im Übergang zu einer neuen Epoche?

Ist die Theaterwelt gerade in einem kritischen Erwachen der Postdramatik? Ein neuer Realismus ist in der Theaterlandschaft wieder mehr und mehr gefragt. Durch die Internationalisierung unseres Lebens steht nicht mehr der Text alleine im Mittelpunkt; der Fokus richtet sich wieder mehr und mehr auf das Körpertheater, eine Sprache, die alle verstehen. Werden wir eine „Renaissance des Körpertheaters“ erleben?

„Die Epoche der Romantik reicht bis in unsere heutige Zeit“, so Professorin Ulrike Buschendorf. In musikalischer Hinsicht, beispielsweise, bedient sich die Filmindustrie bis heute an den Prinzipien der Romantik. Aber auch die Grundsätze und Motive des Menschen sind ähnlich wie damals: Die Sehnsucht nach Märchen, Mysterien und Geheimnissen bleibt ein Ur-Instinkt des Menschen. Doch es erscheint uns heutzutage irrational. Sind wir im Theaterm dürfen wir unseren Emotionen freien Lauf lassen. Körpertheater, Pantomime miteinbezogen, hat hier das Mittel zu diesem Zweck; es ist voller Ästhetik und Poesie, es lässt uns an eine bessere Welt glauben, bzw. den Zustand der heutigen Welt vergessen.

Ich denke, Pantomime an sich ist noch immer eine Kunstform, die eine breite Masse in der Gegenwart interessiert und begeistert. Nur bekommen wir die breite Masse nicht mit einem Titel wie „Heute: Klassische Pantomime“ in ein Theater. Und sollte nicht eben dies ein Anspruch eines Künstlers sein, eine breite Masse mit seiner Kunst zu erreichen? Wie schade ist es doch, dass im Moment die Welt der darstellenden Kunst fast ausschließlich für die Welt der darstellenden Kunst kreiert? Bei der Pantomime beobachte ich leider  gerade dieses Phänomen. Es ist gibt aktuell keine Pantomimengruppen, die am Deutschen Theater, wie damals in der DDR, ganze Stücke aufführen und eine Residenz haben. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es heute in diesem klassischen Rahmen funktionieren würde. Natürlich: Sie Pantomime hat nach wie vor ein ungeheures Potenzial!

Wie Samy Molcho sagte: „Der Körper ist der Handschuh der Seele“.

Es muss nur richtig genutzt und verkauft werden – und vor allem: Es muss einen Motor geben. Einen Motor wie beispielsweise Radim Vizvary. Er treibt die Pantomime in der Tschechischen Republik voran und integriert alle heranwachsenden Mimen um sich in seiner Welt als aktiver Theatermacher. In Deutschland fällt mir in der Gegenwart vergleichsweise niemand ein. Oder liegt es daran, dass die Tschechische Republik tiefer mit der Pantomimentradition verwurzelt ist? Ich möchte in dieser Arbeit keine Pantomimekünstler der Gegenwart  analysieren und miteinander vergleichen. Das liegt in den Händen der Generation nach mir. Dies ist eine Einschätzung der Pantomime der Gegenwart, eine Skizze, eine Ansicht.

Wie könnte die Pantomime/ Mime der Zukunft aussehen? 

Hier möchte ich mit einem Zitat von Samy Molcho einleiten. Sein Lebensmotto lautete:

„Erkenne wer Du bist, sieh woher Du kommst und prüfe wohin Du gehst.“.

Diese Aussage lässt erkennen, dass, egal welche Kunst du machst, es immer zeitgenössisch sein wird und somit in der Zukunft Chancen hat, solange du individuell es dir zu eigen gemacht hast.

Bist Du ernsthaft daran interessiert Kunst zu betreiben, musst du dich als Künstler ständig diese Fragen stellen: „Wer bin ich? Woher komme ich? Wo liegen meine Stärken? Wohin möchte ich gehen?“. Jeden Tag bist du wieder aufs Neue mit dir konfrontiert, musst dich jeden Tag neu entdecken, kennenlernen, hinterfragen, musst dich lieben und hassen. Erst dann bist du im Weltgeschehen involviert – dann gehe auf die Bühne und zeige, was die Gegenwart ist, was die Zukunft sein wird.

Wenn diese Prinzipien auch in der Pantomime ernsthaft gelebt werden, hat die Pantomime sicherlich eine Zukunft, eine berührende, moderne und ehrliche Zukunft. Das könnte aber auch heißen, dass erkannt wird („erkenne wer du bist“), dass es nicht die Form der Wurzeln der klassischen Pantomime ist („siehe woher du kommst“), sondern vielmehr ein vorsichtiges Herantasten an deine individuelle Weltanschauung, einer Weltanschauung, die du immer wieder überprüfen solltest („prüfe wohin du gehst“). Das alles spiegelt sich in deiner Kunst wieder und wird sicherlich „zukunftstauglich“ sein.

Natürlich! Es ist immer leichter theoretisiert als umgesetzt. Es hat viel mit loslassen und akzeptieren zu tun. Zudem werden an allen Ecken und Enden Hürden vor dir aufgestellt, die dich ausbremsen.

Ein sehr lebhaft dargestelltes Beispiel von Prof. Dr. Stabel ist sinngemäß folgendes:     „Die jungen, kreativen Schauspieler, die frisch aus ihrer Ausbildung kommen und Potenzial hätten, die Gegenwart zeitgenössisch zu gestalten, werden in einem Theaterhaus eingestellt, wo der Intendant der Großvater und ihr Regisseur der Vater sein könnte“.

Die Pantomime als Technik ist in der Gegenwart in vielen Gebieten der darstellenden Kunst von großer Bedeutung. In den Bereichen Körpertheater, Puppenspiel, Tanz und Schauspiel wird diese Technik im Rahmen des Studiums nicht selten gelehrt.

Aber bezweckt das die Pantomime der Zukunft, eine technische Basis alleine?

Exkurs Federation European Mime (FEM)

Die FEM ist ein Netzwerk von den drei wichtigsten mitteleuropäischen Bildungsstätten für Pantomime/ Mime (HAMU/ Hochschule der musischen Künste – Abteilung Pantomime/Nonverbales Theater in Prag, DIE ETAGE e.V. – Abteilung Pantomime/Mime in Berlin).

Im Rahmen des Festivals „My Mime“, das einmal im Jahr stattfindet, wird ein künstlerischer Austausch ermöglicht. Die  Studierenden fangen früh an Bühnenerfahrungen zu sammeln, knüpfen ein Netzwerk und lernen andere Traditionen kennen.

Ich führe die Organisation als Beispiel an, weil diese sich zum Ziel gesetzt hat, die europäische Mimenkunst zu fördern und das nonverbale Theater weiterzuentwickeln.

Es wäre interessant zu beobachten, ob daraus neue Impulse für das künstlerische Schaffen der Zukunft resultieren.

Natürlich gibt es zudem verschiedenste Festivals wie zum Beispiel in Ungarn, London, Prag, Warschau….


Autor: Mareike Jung

Mime, Tänzerin und Illusionskünstler Mareike Jung

Mime, Tänzerin und Illusionskünstler Mareike Jung

Das war der erste Teil von Mareike Jungs Arbeit Pantomime und Mime der Gegenwart und Zukunft Teil

Lest hier den zweiten Teil bei dem es darum geht, wie die Pantomime / Mime miteinander verknüpft sind.

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