In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Menschen, die Mime Corporel so lange studiert haben, dass es ihnen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Für Berlin ist das mit Sicherheit Oliver Pollak. Seitdem ich einige Privatstunden genommen habe, weiß ich um das Potenzial dieser speziellen Mimeform, die auch gern als „Grammatik des Körpers“ bezeichnet wird. Für mich ist es fazinierend, welche mächtigen Bilder erzeugt werden können und sich die Präsenz des Schauspielers in kurzer Zeit verbessert. Ich traf mich vor kurzem mit Oliver auf einen Kaffee und sprach mit ihm über Mime Corporel, Étienne Decroux und wie man mit dem Üben am besten beginnt.


Oliver, wie bist Du zur Mime gekommen?

 

Oliver Pollak: Nach der Schule habe ich als Requisiteur in einem Theater gearbeitet und hatte hier meine ersten Berührungspunkte mit dem Schauspiel. Ich bin danach für ein Jahr auf eine Clownsschule in Kopenhagen gegangen, die mir den Stil von Jaques Lecoq näher gebracht hat. Später folgte ein Jahr Paris auf der Marceau Schule. Mein Interesse an Mime Corporel war größer als an Pantomime und als die Lehrer Corinne Soum und Steven Wasson nach London gegangen sind, folgte ich. Dort bin ich dann 6 Jahre geblieben und habe Mime Corporel in mich aufgesogen.

Was ist fuer Dich der Unterschied zwischen Mime und Pantomime?

Oliver Pollak: Mime ist ein altes Wort für Schauspieler für körperbetontes Theater.

Pantomime ist für mich Illiusionsmime also Effekte wie Wand, Strick oder imaginäre Dinge bewegen.

Mime ist alles was nicht Tanz oder Sprechtheater ist. Dabei zählt nicht nur die Mimik sondern auch Gesten und der Ausdruck mit dem kompletten Körper.

Mime Corporel ist ein abgegrenzter Teilbereich der Mime und all das, was wir von Étienne Decroux bekommen haben.

Die Kunstform der Mime Corporel besteht für mich aus 4 Komponenten der technischen Grundlagen. Das ist nichts was irgendwo steht, sondern das, was es für mich bedeutet.


  • 1. Das Skelett und die Isolation: Ich isoliere einzelne Teile meines Körpers und komponiere sie wieder zusammen. Durch Mime Corporel lernt man das mechanische Gerüst des Menschen besonders gut kennen.
  • 2. Das Herz und das Prinzip des „Contre Poids“ untersucht, wie wir in Aktion treten im Verhältnis zur Schwerkraft. Wenn ich Im Tanz eine Pirouette sehe, dann habe ich das Gefühl, dass alles leicht ist und es keine Schwerkraft gibt. In der Mime Corporel arbeite ich explizit mit oder gegen diese Kraft. Daraus ergibt sich die Seele des Charakters, in dem er die Dynamik und den Rhytmus variiert. Durch verschiedene Spielmodi geben wir ein und der selben Handlung verschieden Schwerpunkte. Was steht in welchem Fokus. Drücken wir äußere oder innere Prozesse aus? Wiegt hier ein schweres Gewicht oder leichtes? Das Gewicht muss nicht physisch sein. Es kann sich z.B. auch um ein moralisches Gewicht handeln.
  • 3. Der Stil und die Formgebung. Jede gute Kunstform hat seine Wiedererkennungsmerkmale. Charakteristisch für die Mime Corporel sind die „Triple Design“ (Einteilung der Haltung eines Körperabschnitts wie dem Kopf in Rotation und Inklinationen) oder dass das Auge des Raumes nicht verletzt wird, also harmonische Bewegungsabläufe. Wenn man einmal um die Mime Corporel weiß, erkennt man es auf der Bühne auch wieder.
  • 4. Philosophie der Mime Corporel. Diese ist obskur. Étienne Decroux war zwar Mime, hat der Nachwelt aber auch ein philosophisches Buch hinterlassen. Außerdem war er als grosser Redner bekannt. Er wusste um die Wirkung, die der Körper ausdrückt egal ob man spricht oder schweigt.

Étienne Decroux wollte eine eigenständige Kunstsparte wie Malen und Tanzen etablieren, was ihm meiner Meinung nach nicht ganz gelungen ist. Was er geschaffen hat ist zweifelsohne eine zeitlose Kunstform.

Der Schauspieler hat in der Mime Corporel wenig persönliche Zeichnung. Es geht mehr um den Menschen an sich und die Situation, in der er sich befindet, als um bestimmte Personen. Deswegen tritt der Verlauf eines Charakters in den Hintergrund. „Rendre visible, l‘invisible?“ – Unsichtbares sichtbar machen.

Decrouxs Stücke und Thematiken sind spirituell konnotiert, obwohl er sich immer dagegen gewehrt hat. Es geht um das Schicksal des Menschen, da gehört Spiritualität einfach dazu. Das sind große zeitlose Themen.

Wie hilft Mime Corporel dem Schauspieler auf der Buehne?

 

Oliver Pollak: Mime Corporel hilft dem Schauspieler auf der Bühne präsenter zu sein. Mit der Zeit lernt man seine Bewegungen präziser auszuführen und minimaler zu spielen.

„Warum soll ich ich 5 Bewegungen machen wenn ich dasselbe auch mit einer ausdrücken kann.“

Der Schauspieler gewinnt ein Gefühl für Dreidimensionalität von Figuren. Man lernt Spannung aufzubauen. Der Spielstil wird schlichter, man muss sein Publikum nicht zuplappern, um zu wirken. Ich empfehle jedem Bühnendarsteller, sich mit ausgewählten Komponenten des Mime Corporel zu beschäftigen. z.B. dem „Lapin“. Es hilft auch, sich eine Figur der Mime Corporel zu  erarbeiten, um daran die Prinzipien zu üben.

Was sind „Figures“ im Mime Corporel?

Oliver Pollak: Unter den Figures versteht man Übungsbeispiele. Davon gibt es mehrere hundert. Damit nicht nur reine Technik geübt wird, kann man die Prinzipien an den Figures anwenden. Lapidar gesagt ist es eine Abfolge von Bewegungen, an denen unterschiedliche Schwerpunkte wie Dynamik oder Rhythmus trainiert wird.

Welche 3 Eigenschaften sind fuer einen Schauspieler wichtig?

 

Oliver Pollak: Die 3 wichtigsten Dinge sind Präsenz, Authentizität und Charisma. Präsenz bedeutet Aufmerksamkeit zu erregen ohne spektakuläre Dinge zu machen.

Unter Authenzität verstehe ich Durchlässig- und Glaubwürdigkeit. Für einen erfolgreichen Abend ist nicht wichtig, ob du es genau so gemacht hast wie gestern oder wie es 1000 mal geübt wurde, sondern ob man im Moment wirklich drin ist.

Charisma ist wichtig für die Verbindung zum Publikum. Du kannst nicht emphatisch mit jemanden sein, den du nicht magst.

Worauf legst du in deinem Unterricht wert?

Oliver Pollak: Offenheit und auf ein Ziel hinarbeiten finde ich wichtig. Der Probenraum ist heilig. Eine kritische Einstellung ist wichtig, trotzdem sollte der Schüler erst einmal „machen“, denn viele Fragen klären sich während des Übens.

Wer inspiriert Dich?

 

Oliver Pollak: Pina Bausch, weil man ihr nicht ansieht, dass sie tanzt sondern die Wucht des Ausdrucks.

An Butoh finde ich die Selbstversenkung spannend. Trotzdem soll der Zuschauer mindestens genau so viel erleben wie der Darsteller. Grundbedingung für eine Theatersituation ist, dass man Zuschauen hat, die es interessiert, was man macht. Diese Gegebenheit ist ist flüchtig und muss immer wieder neu kreiert werden.

Wie sollten Beginner anfangen Mime Corporel zu lernen?

Oliver Pollak: Einfach ins tiefe Wasser springen. Mach’s wie die Amis: erst schießen, dann fragen. (lacht)

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Besucht die Website von Oliver Pollak. Dort wird es bald mehr über Mime Corporel zu lesen geben. Oliver gibt regelmäßig Bewegunstraining im Mime Centrum Berlin. Auf der Website vom Mime Centrum findet Ihr Termine und den Ort.

Mime Corporel Training in Berlin

Lernt die Mime Corporel und verbessert Ausdruck und Präsenz auf der Bühne. Wir planen ein regelmäßiges Training jeden Dienstag Abend mit Oliver Pollak. Schickt mir eine E-Mail mit dem Betreff „Mime Corporel Training“ und ich gebe Euch genauere Informationen.